Was tun, wenn die Verordnung verspätet bei der Kasse eingeht?
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.08.2010 – L 5 KR 105/09 (nicht rechtskräftig – Revision beim BSG unter B 3 KR 28/10 B anhängig)
Es kommt immer wieder vor, dass die grundsätzlich beim Versicherten liegende Obliegenheit zur Einreichung der ärztlichen Verordnung bei der Krankenkasse vom Pflegedienst übernommen wird. Was ist die Rechtsfolge, wenn Verordnungen nicht nachweislich bzw. nicht nachweislich innerhalb von 3 Arbeitstagen der Krankenkasse zugehen? Wer trägt die Beweislast für den Zugang? Wer übernimmt die Kosten für den Fall, dass der Pflegedienst im Vertrauen auf die ärztliche Verordnung leistet, die Krankenkasse aber die Vergütung mit Hinweis auf den verspäteten oder fehlenden Zugang der Verordnung verweigert?
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte über einen besonders gelagerten Fall zu entscheiden, in dem die Krankenkasse den Zugang der Original-Verordnung bestritten hatte und deshalb über einen Zeitraum von über zwei Monaten keinerlei Vergütung für die erbrachten Leistungen trug. Der Pflegedienst verklagte darauf hin die Krankenkasse auf Zahlung der Vergütung für die erbrachten Leistungen.
Folgender Sachverhalt lag vor:
Die vom Pflegedienst versorgte, zwischenzeitlich verstorbene Versicherte litt unter einem Zustand nach Embolie am linken Arm, einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom, einer cerebralen Durchblutungsstörung, einer koronaren Herzkrankheit sowie unter Vergesslichkeit. Am 23.06.2005 verordnete der Vertragsarzt, der bereits in den Vorquartalen Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu Lasten der Krankenkasse verordnet hatte, häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 in Form von Medikamentengabe. Der Pflegedienst übernahm das Einreichen der Verordnung bei der Krankenkasse und gab an, die Verordnung am 24.06.2005 der Krankenkasse zugeschickt zu haben.
In der Folgezeit erbrachte der Pflegedienst die verordneten Leistungen weiter. Der Vertrag zwischen Pflegedienst und Krankenkasse gemäß §§ 132, 132 a Abs. 2 SGB V sieht u.a. vor, dass Leistungen nur aufgrund gültiger vertragsärztlicher Verordnung erbracht werden dürfen. Die Rückseite des Verordnungsvordruckes ist vom Versicherten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter und vom Leistungserbringer entsprechend auszufüllen und durch Unterschrift zu bestätigen. Die Kostenübernahme ist grundsätzlich vor Beginn der Leistungserbringung bei der Krankenkasse zu beantragen. Die Krankenkasse entscheidet unverzüglich über den Leistungsantrag und informiert hierüber den Leistungserbringer. Soweit die vertraglich verordneten Leistungen nicht oder nur zum Teil übernommen werden, informiert die Krankenkasse auch den Versicherten und den verordnenden Arzt.
Nachdem der Pflegedienst vom Abrechnungsdienst der Krankenkasse die Information erhielt, dass die die (Original-)Verordnung nicht vorliege, ließ er ein Duplikat der Verordnung erstellen. Dieses Duplikat ging am 12.09.2010 bei Krankenkasse ein. Die Krankenkasse teilte sodann mit, dass sie im Hinblick auf die unter dem 23.06.2005 verordnete häusliche Krankenpflege mit einer Kostenübernahme in der Zeit vom 12.09.2005 bis 30.09.2005 eintrete. Sie legte ferner dar, dass Verordnungen häuslicher Krankenpflege grundsätzlich vor Beginn der Pflege bei der zuständigen Krankenkasse zwecks Genehmigung einzureichen seien. Die hier streitige Verordnung sei jedoch erst am 12.09.2005 eingegangen. Die Prüfung einer eventuellen Leistungsgewährung wäre somit frühestens zum 12.09.2009 möglich gewesen.
Daraufhin verklagte der Pflegedienst die Krankenkasse auf Zahlung der Vergütung für die erbrachten Leistungen im Zeitraum 01.07.2005 bis 11.09.2010. Die Verordnung vom 23.06.2005 sei am 24.06.2005 der Krankenkasse zugeschickt worden. Der Pflegedienst hat eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, mit der er erklärt hat, die betreffende Verordnung am 24.06.2005 an die abgeschickt zu haben. Sämtliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege betreffend den streitigen Verordnungszeitraum seien ordnungsgemäß erbracht worden und medizinisch erforderlich gewesen. Dabei müsse ferner berücksichtigt werden, dass das öffentliche Postlaufrisiko nicht zu Lasten des Pflegedienstes gehen dürfe. Angesichts dessen stelle es sich als treuwidrig dar, wenn medizinisch notwendige Leistungen nunmehr nicht vergütet werden sollen.
Die Krankenkasse bestritt die Absendung und den Zugang der (Original-) Verordnung vom 23.06.2005. Das Duplikat sei erst am 12.09.2005 zugegangen.
Das Sozialgericht Dortmund wies die Klage ab. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch für die Zeit vom 01.07.2005 bis 11.09.2005 sei nicht entstanden, weil bereits die ordnungsgemäße Absendung der Originalverordnung nicht feststehe. Da die Originalverordnung nicht zu spät, sondern gar nicht bei der Krankenkasse eingegangen sei, komme es nicht darauf an, wer von den Beteiligten das öffentliche Postlaufrisiko zu tragen habe.
Gegen das Urteil hat der Pflegedienst Berufung eingelegt. Er hält daran fest, dass die Verordnung unverzüglich abgesandt worden sei. Darüber hinaus stelle es sich als treuwidrig dar, wenn die erbrachten Leistungen nicht zu vergüten seien, obwohl über die medizinische Notwendigkeit kein Streit bestehe. Sei eine Leistung unstreitig medizinisch notwendig und durch einen Vertragsarzt verordnet worden, existiere kein Grund, diese Leistungen nicht zu vergüten.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies die Berufung des Pflegedienstes zurück.
Ein Anspruch auf Vergütung erbrachter Leistungen der häuslichen Krankenpflege entstehe nur, wenn die Krankenkasse sie „genehmigt“ habe. Dabei handle es sich um die Auftragserteilung im konkreten Leistungsfall, die gleichzeitig den Umfang des Auftrages festlegt. Im Versorgungsvertrag nach § 132 a Abs. 2 SGB V sei sowohl das Antrags- als auch das sich daraus ergebene Genehmigungserfordernis jeglicher Leistungserbringung durch die Krankenkasse geregelt. Erst mit einer Genehmigung durch die Krankenkasse liege ein wirksamer Auftrag vor, im Rahmen dessen ein Pflegedienst tätig werden kann. Angesichts des Umstandes, dass Krankenkassen bestimmen können, in welchem Umfang sie Leistungserbringer zur Erfüllung ihrer Sachleistungsverpflichtung heranziehen, handelt derjenige, der außerhalb des erteilten Auftrags tätig wird, ohne rechtliche Grundlage und damit grundsätzlich ohne Anspruch auf eine Vergütung gegenüber der Krankenkasse.
Die Krankenkasse habe auch nicht die Pflicht gehabt, bereits einen die Zeit vom 01.07.2005 bis 30.09.2005 erfassenden Auftrag zu erteilen. Der Pflegedienst habe zwar an Eides statt versichert – und damit nachzuweisen versucht -, dass er die Originalverordnung bereits am 24.06.2005 abgesandt habe. Die Krankenkasse habe jedoch nicht nur den Zugang der Originalverordnung bestritten, sondern außerdem die Absendung der Originalverordnung mit Nichtwissen bestritten. Daher stehe nicht fest, dass ein Leistungsantrag durch Übersenden der Originalverordnung tatsächlich gestellt worden ist. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der objektiven Beweislast, wonach jeder Beteiligte die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen.
Etwas anderes folge auch nicht aus den HKP-Richtlinien. Danach übernimmt die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Hier sei das Original der Verordnung nicht nachweislich und das Duplikat der Verordnung erst am 12.09.2005 bei der Krankenkasse eingegangen.
Auch ein Anspruch aus bereicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht in Betracht. Die Krankenkasse habe durch das Tätigwerden des Pflegedienstes im Streitzeitraum nichts erlangt, insbesondere sei sie nicht von einer gegenüber der Versicherten bestehenden Verbindlichkeit befreit worden, da die Versicherte gegen die Krankenkasse keinen Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege in der Zeit vom 01.07.2005 bis 11.09.2005 hatte. Denn ein Leistungsantrag sei bei der Krankenkasse erst am 12.09.2009 eingegangen, so dass die Krankenkasse berechtigt gewesen sei, eine Genehmigung erst für die Zeit ab Eingang des Antrages zu erteilen. Im Übrigen sei der Bescheid zur Bewilligung erst ab 12.09.2005 bestandskräftig geworden. Damit kann der Pflegedienst nur das gegenüber der Krankenkasse abrechnen, was die Versicherte von der Krankenkasse fordern konnte. Fordern konnte die Versicherte von der Krankenkasse jedoch aufgrund der bereits dargestellten Gegebenheiten nur die Gewährung von häuslicher Krankenpflege in der Zeit vom 12.09.2005 bis 30.09.2005. Insofern wirke sich die Bestandskraft des Bescheides auch im Verhältnis zwischen Pflegedienst und Krankenkasse aus, weil Leistungs- und Leistungserbringerrecht einheitlich beurteilt werden müssen.
Der Entscheidung des Landessozialgerichts ist in einem wesentlichen Punkt zu widersprechen: Die Krankenkasse war nicht berechtigt, die Genehmigung erst für die Zeit ab Eingang des Antrages zu erteilen, weil der Leistungsantrag bei ihr erst am 12.09.2009 eingegangen ist. Vielmehr hätte die Krankenkasse die Amtspflicht gehabt, aufzuklären, ob die Leistung ab Beginn de Verordnungszeitraums medizinisch notwendig war oder nicht. Da dies nach dem Sachverhalt aber unstrittig war, und die Leistungen auch in den Vorquartalen stets als notwendig bewilligt wurden, hätte die Leistung auch ab 01.07.2010 genehmigt werden müssen. Die Regelung in § 6 Abs. 6 der HKP-Richtlinien, wonach die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs. 2 SGB V übernimmt, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird, ist nicht dahin gehend zu verstehen, dass die Kostenübernahme abgelehnt werden darf, wenn die Verordnung erst später zugeht. Zu prüfen ist vielmehr immer der materielle Anspruch des Versicherten aus § 37 Abs. 2 SGB V. Es handelt sich nicht um eine Ausschlussregelung für den Fall des „verspäteten“ Zugangs der Verordnung (so auch SG Potsdam, Urteil vom )
Deshalb ist auch der bestrittene Bereicherungsanspruch gegen die Krankenkasse berechtigt. Denn natürlich hat die Krankenkasse durch die Leistung des Pflegedienstes erlangt, nämlich die Befreiung von ihrer Leistungspflicht als Krankenversicherung gegenüber der Versicherten durch Erbringung der Leistung über den Pflegedienst. Der Pflegedienst hat daher mit seiner Forderung Recht, und zwar unabhängig davon, dass die Versicherte gegen den Teilablehnungsbescheid nicht Widerspruch eingereicht hatte.
Tipp für die Praxis
Reichen Sie alle Verordnungen stets innerhalb von drei Arbeitstagen bzw. innerhalb der in Ihrem Vertrag gem. § 132 a Abs. 2 SGB V vorgesehen Frist per Fax bei der Krankenkasse ein (Faxbericht!).
Wird die Verordnung „wegen verspäteten Zugangs“ erst ab dem Datum des Zugangs bewilligt, sollte der Versicherte Widerspruch und ggf. Klage hiergegen einreichen.