Sozialgericht verhindert Veröffentlichung des Transparenzberichts
Das Sozialgericht Münster hat in einem Beschluss vom 18.01.2010 (S 6 P 202/09 ER) die Pflegekassen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Veröffentlichung des vorläufigen Transparenzberichts im Internet oder in sonstiger Weise zu unterlassen.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin betreibt eine Pflegeeinrichtung, in der der MDK eine Qualitätsregelprüfung nach § 114 ff. SGB XI durchführte. Sodann übersandten die Pflegekassen der Pflegeeinrichtung per Internet mit einem Erkennungscode einen vorläufigen Transparenzbericht, der auf der Grundlage des MDK-Prüfberichts erstellt worden war. Der Transparenzbericht weist als rechnerisches Gesamtergebnis aus den bewerteten Einzelnoten die Note ausreichend 3,8 aus. Der Qualitätsbereich „Pflege und medizinische Versorgung“ erhielt die Gesamtnote mangelhaft 4,7. Hiergegen wehrte sich die Pflegeeinrichtung mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, um die Pflegekassen zur Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts zu verpflichten. Mit einer Veröffentlichung sei binnen 28 Kalendertagen nach Übersendung an die Pflegeeinrichtung zu rechnen. Zur Begründung führte die Pflegeeinrichtung aus, der zugrundeliegende Prüfbericht sei unzutreffend. Im Transparenzbericht werde vorrangig die Dokumentation und nicht die Erbringung der Pflegeleistungen honoriert. Eine objektive Benotung sei im Übrigen gar nicht möglich. Bei einer Veröffentlichung des Transparenzberichts würde der Ruf der Pflegeeinrichtung erheblich beeinträchtigt. Hierdurch drohe ein schwerer wirtschaftlicher Schaden.
Die Pflegekassen wendeten demgegenüber ein, der Transparenzbericht sei auf der Grundlage der MDK-Qualitätsprüfung zeitnah zu veröffentlichen. Die Pflegeeinrichtung habe die Möglichkeit, innerhalb von 28 Tagen nach Bekanntgabe des vorläufigen Berichts eine Stellungnahme abzugeben, die dem veröffentlichten Transparenzbericht angefügt werde. Dieser Bericht stelle eine Widerspiegelung einer Momentaufnahme der Pflegeeinrichtung an dem Tag der Qualitätsprüfung dar. Es komme deshalb nicht darauf an, ob die festgestellten Mängel zwischenzeitlich beseitigt worden seien. Auch müssten Unstimmigkeiten zwischen der Einrichtung und den Landesverbänden der Pflegekassen nicht geklärt werden, bevor die Pflegenoten veröffentlicht würden. Falls die Pflegeeinrichtung Einwendungen gegen den Transparenzbericht habe, könne dies im Klageverfahren überprüft werden. Im Übrigen sei das Verfahren zur Veröffentlichung der Transparenzberichte verfassungsgemäß und durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.
Das Sozialgericht Münster gab dem Antrag der Pflegeeinrichtung auf Unterlassung der Veröffentlichung statt. Die Veröffentlichung des umstrittenen Transparenzberichts würde zu einem Reputationsschaden der Einrichtung führen. Im Falle einer Veröffentlichung würden erhebliche Wettbewerbsnachteile entstehen und ein gravierender wirtschaftlicher Schaden eintreten. Das Grundrecht der Betreiberin der Pflegeeinrichtung aus Artikel 12 Grundgesetz auf Berufsfreiheit könnte bei einer rechtswidrigen Veröffentlichung des Transparenzberichts irreversibel verletzt werden. Die Veröffentlichung wäre rechtswidrig, da die Voraussetzungen nach den gesetzlichen Regelungen in § 115 Abs. 1 a SGB XI nicht vorliegen. Nach der gesetzlichen Regelung des § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK sowie gleichwertige Prüfergebnisse nach § 114 Abs. 3 und 4 SGB XI zugrunde zu legen. Die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind durch die Spitzenverbände der Kostenträger und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen zu vereinbaren.
Der Transparenzbericht genügt jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen. Eine Veröffentlichung würde die Trägerin der Pflegeeinrichtung in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzen. Die Berufsausübungsfreiheit nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Jede Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch den Gesetzgeber muss nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Speziell zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26.06.2002 dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Artikel 12 Grundgesetz nur dann nicht beeinträchtige, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Information beachtet würden. Blieben selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könne eine Verbreitung der unsicheren Informationen zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und die Marktteilnehmer auf die verbleibenden Unsicherheiten hingewiesen würden. Die Berücksichtigung dieser Grundsätze führt im Hinblick auf die Auslegung des § 115 Abs. 1 a SGB XI dazu, dass die Veröffentlichung von Berichten über Qualitätsprüfungen grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellung erfolgen darf. Sind aufgrund substantieller Einwendungen gegen die Feststellung des MDK-Prüfberichts erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfergebnisses gerechtfertigt, haben die Pflegekassen die Pflicht, diesen Zweifeln (bzw. den Unstimmigkeiten) vor der Veröffentlichung etwa durch die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des MDK oder durch eine weitere Qualitätsprüfung nachzugehen. Die gesetzliche Bestimmung des § 115 Abs. 1 a SGB XI erlaube nicht die Veröffentlichung zweifelhafter Berichte und enthalte im Übrigen auch keine Regelung darüber, wann die Transparenzberichte veröffentlicht werden sollen. Zwar ist in den Transparenzvereinbarungen mit ihrer 28-Tage-Regelung eine solche Zeitbestimmung enthalten und diese erscheint auch wünschenswert. Soweit der Sachverhalt im Rahmen des Möglichen noch nicht sorgsam aufgeklärt worden ist, muss die Veröffentlichung so lange unterbleiben. Dies entspricht auch dem Verbraucherinteresse. Im Interesse des Verbrauchers und dem Ziel der Qualitätsentwicklung in der Pflege sind nur „verlässliche Informationen“, wie es der Gesetzgeber in seiner Begründung zum Pflegeweiterentwicklungsgesetz ausdrücklich hervorgehoben hat. Markchancen einer Einrichtung, die in wesentlicher Hinsicht, nämlich im Qualitätsbereich Pflege und medizinische Versorgung, mit mangelhaft bewertet worden sind, dürften einen dauerhaften Schaden erleiden, der auch durch eine spätere Korrektur nicht wieder gut zu machen sei. Die Veröffentlichung des Transparenzberichts habe daher schon deshalb vorläufig zu unterbleiben, weil eine hinreichend sichere Tatsachenfeststellung nicht gegeben sei.
Abgesehen hiervon genüge die Transparenzvereinbarung und insbesondere deren Ausfüllanleitungen für die Prüfer nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI, die eine Veröffentlichung der von den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität „insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität“ vorsieht. Die Ergebnis- und Lebensqualität bezieht sich im Unterschied zur Struktur- und Prozessqualität auf das erreichte Ergebnis der geleisteten Pflege. Dem wird das schwerpunktmäßige Abstellen auf Dokumentationsdefizite nicht gerecht. Die Dokumentationsqualität wird insoweit unzulässigerweise höher gewichtet, als die Pflegequalität. Bei Durchsicht der einzelnen benoteten Kriterien unter Berücksichtigung der Ausfüllanleitung für die MDK-Prüfer lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, die diese Kritik als gerechtfertigt erscheinen lassen. Bereits die erste Frage aus dem Qualitätsbereich 2, die zudem besonders nebulös formuliert sei („Ist bei Bedarf eine aktive Kommunikation mit dem Arzt nachvollziehbar?“) ziele nicht auf die Feststellung, ob erforderlichenfalls Kontakt mit einem Arzt aufgenommen wird, sondern ob dies aus der Pflegedokumentation erkennbar ist. Die zweite Frage: „Entspricht die Durchführung der behandlungspflegerischen Maßnahme den ärztlichen Anordnungen?“, sei nach den Ausfüllanleitungen nur mit Ja zu beantworten, wenn die Durchführung solcher Maßnahmen fachgerecht und eindeutig dokumentiert werde. Auch die dritte Frage („Entspricht die Medikamentenversorgung den ärztlichen Anordnungen?“) könne nach den Ausfüllanleitungen nur dann bejaht werden, wenn unter anderem die „vollständigen Medikamentennamen“ dokumentiert werden. Ob die Medikamentenversorgung dagegen in der Sache korrekt erfolgt, ist nicht Gegenstand der Prüfung. Diese Aufzählung ließe sich fortführen. Dabei werde nicht verkannt, dass der Dokumentation in der Pflege eine große Bedeutung zukomme, die Frage betreffe allerdings nicht die Ergebnisqualität, auf die es nach dem Gesetz insbesondere ankommen soll, sondern die Prozessqualität. Zuzugeben sei, dass die Ergebnis- und Lebensqualität schwer zu bemessen und Mängel in der Dokumentation leicht aufzuzeigen sind. Dies könne jedoch ein Bewertungssystem nicht rechtfertigen, dass die Einrichtungen nötige, auf Kosten ihrer eigentlichen Aufgabe noch mehr in die Dokumentation zu investieren.
Die auf dem Boden der aktuellen Prüfkriterien des MDK erstellten Transparenzberichte genügen daher grundsätzlich nicht den gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität. Dies wird selbst in der Transparenzvereinbarung vom 17.12.2008 anerkannt, nach der es „derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gibt“. Deshalb sei die Vereinbarung als vorläufig zu betrachten. Erst Ende 2010 sei mit Ergebnissen eines vom Bundesministerium für Gesundheit begleiteten Modellprojekts „Messung Ergebnisqualität“ zu rechnen. So lange jedoch valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität überhaupt nicht vorliegen, könne es nach Auffassung des Sozialgerichts auch keine Prüfberichte geben, die den gesetzlichen Anforderungen des § 115 Abs. 1 a SGB XI genügen. Denn danach sind die erbrachten Leistungen der Pflegeeinrichtungen ausdrücklich insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen. Prüfberichte, die diesem Anspruch nicht entsprechen, sind rechtswidrig und verletzen das Grundrecht der Einrichtungsträger aus Artikel 12 Grundgesetz. Die Einrichtungsträger haben deshalb das Recht, die Unterlassung der Veröffentlichung solcher Berichte zu verlangen.
Der Entscheidung des Sozialgerichts Münster ist vollumfänglich zuzustimmen. Bereits auf den ersten Blick entsprechen die zu prüfenden Kriterien der Transparenzberichte nicht den Fragestellungen in den Ausfüllanleitungen für die MDK-Prüfer. Dies betrifft sowohl die Pflegetransparenzvereinbarung ambulant, als auch die Pflegetransparenzvereinbarung stationär. In den PTVA wird beispielsweise die Frage aus dem Qualitätsbereich 1 Pflegerische Leistungen: „Werden die individuellen Wünsche zur Körperpflege im Rahmen der vereinbarten Leistungserbringung berücksichtigt?, nach der Ausfüllanleitung für die Prüfer nur dann bejaht, wenn diese Wünsche dokumentiert sind. Die Dokumentation ist aber nicht die Frage, sondern die tatsächliche Berücksichtigung. Dies entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen und dem Wortlaut des § 115 Abs. 1 a SGB XI, der ausdrücklich von der Ergebnis- und Lebensqualität spricht. Dass diese Ergebnisqualität schwer zu messen ist, kann nicht zu Lasten der Pflegeeinrichtungen gehen. Vielmehr muss eine wissenschaftlich fundierte Messbarkeit der Ergebnis- und Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen nunmehr herbeigeführt werden. Solange dies nicht der Fall ist, können Pflegeeinrichtungen unter Berufung auf Artikel 12 Grundgesetz die Unterlassung der Veröffentlichung der Pflegetransparenzberichte verlangen. Etwa schon veröffentlichte Transparenzberichte sind wieder aus dem Internet herauszunehmen.