LSG Nordrhein-Westfalen: Keine rückwirkende Übernahme der Pflegekosten seitens des Sozialamts

Ambulante Leistungen zur häuslichen Pflege sind keine „Leistungen für Einrichtungen“ i.S.d. § 19 Abs. 6SGB XII. Mit dem Tod des Hilfeempfängers erlischt der Erstattungsanspruch des Pflegedienstes, sofern nicht vor dem Tod eine Kostenzusage erteilt wurde.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.05.2015 – L 20 SO 500/13, BeckRS 2015, 69674

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst, der die 1924 geborene Hilfeempfängerin seit dem 30.11.2006 in Ihrer Wohnung ambulant gepflegt hat. Grundlage war ein zwischen der Klägerin und der Hilfeempfängerin am 30.11.2006 geschlossener Pflegevertrag über die Erbringung ambulanter Pflegedienstleistungen nach § 37 SGB V (Häusliche Krankenpflege) sowie Pflegesachleistungen gem. § 36 SGB XI. Auf Grundlage dieser Vereinbarung erbrachte die Klägerin gegenüber der Hilfeempfängerin, die seit Dezember 2006 Leistungen seitens der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II bezog, auch im streitigen Zeitraum Hilfe zur Pflege. Die dadurch entstandenen Kosten stellte die Klägerin jeweils im Folgemonat in Rechnung, insgesamt 8.850,08 EUR. Am 18.06.2009 beantragte die Hilfeempfängerin bei dem Beklagten Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII. Sie verwies hinsichtlich Ihres Gesundheitszustands auf das Gutachten der Pflegekasse und machte Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Nach Versterben der Hilfeempfängerin am 21.07.2010 lehnte der beklagte Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten für die erbrachten Pflegeleistungen gegenüber der Klägerin mit formlosem Schreiben vom 26.07.2010 ab. Der Anspruch der Hilfeempfängerin auf Pflegesachleistungen nach § 65 SGB XII sei mit deren Tod nicht nach § 19 Abs. 6 SGB XII auf die Klägerin übergegangen. Dagegen richten sich Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin.

Entscheidung

Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 19 Abs. 6 SGB XII sind nicht erfüllt. Danach steht der Anspruch der Berechtigten „auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld“ nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Der ambulante Pflegedienst erfülle nicht die Voraussetzung einer „Einrichtung“ in diesem Sinne. Auch geht es nicht um Pflegegeld, sondern um eine Pflegesachleistung. Soweit aus der Gesetzesformulierung geschlossen wird, dass der Gesetzgeber die zum Recht nach dem BSHG unterschiedene Begrifflichkeit zwischen „Leistungen in Einrichtungen“ und „Leistungen durch Einrichtungen“ habe aufgeben wollen, lässt diese Auffassung außer Acht, dass nach der insoweit eindeutigen Formulierung in § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII die ambulanten Leistungen als außerhalb von Einrichtungen erbracht definiert werden. Der Wortlaut sei weder unklar noch rechtfertige eine systematische Betrachtungsweise, etwa im Hinblick auf § 63 Satz 3 SGB XII den Schluss, dass zu den Einrichtungen i.S.d. § 19 Abs. 6 SGB XII auch ambulante Einrichtungen gehören.

Es ist nicht geboten, den Begriff der Einrichtung im SGB XII und SGB XI einheitlich zu definieren. Auch werde durch eine solche Auslegung des § 19 Abs. 6 SGB XII der in § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII verankerte Grundsatz „ambulant vor stationär“ nicht konterkariert.

Es mag zwar sein, dass ambulante Pflegedienste die Erbringung häuslicher Pflegeleistungen ablehnen, solange der Sozialhilfeträger die Kostenübernahme nicht bestandskräftig zugesagt hat. Etwaige praktische Auswirkungen sind aber nicht geeignet, die Auslegung einer im Wortlaut eindeutigen Gesetzesnorm maßgeblich zu beeinflussen. Auch vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GGist eine Gleichstellung ambulanter mit stationärer Leistungserbringung im Hinblick auf den Anspruchsübergang nach § 19 Abs. 6 SGB XII nicht geboten.

Der Senat betont abschließend, dass in derartigen Fällen der Versicherte den Weg der einstweiligen Anordnung gehen sollte, um einen Titel gegen den Sozialhilfeträger zu Lebzeiten zu erhalten.