Erstattung von Betreuungskosten auch unterhalb der Pflegestufe
Das Hessische Landessozialgericht hat es in einem Urteil vom 27.08.2009 (L 8 P 35/07) abgelehnt, den allgemeinen Aufsichts- und Betreuungsbedarf in die Ermittlung des Pflegeaufwandes einzubeziehen und die Betroffenen auf die Erstattung allgemeiner Betreuungskosten nach §§ 45a, 45b SGB XI verwiesen.
Dem entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der 1946 geborene Kläger ist unter anderem an einer paranoiden Schizophrenie, Antriebsminderung bei schizoaffektiver Störung und Parkinson erkrankt und wird ambulant pflegerisch versorgt. Bei der Pflegekasse stellte er den Antrag auf Einstufung in Pflegestufe I der Pflegeversicherung. Nach allen eingeholten Pflegegutachten belief sich der Zeitaufwand bei der Grundpflege auf etwa 30 Minuten. Allerdings sei seine Fähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren nicht vorhanden. Er benötige eine umfangreiche und umfassende Betreuung in Form von Ansprache, Anregung und Beschäftigung. Dies sei jedoch im Rahmen der Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI nicht zu berücksichtigen.
Das Hessische Landessozialgericht hat diese Auffassung bestätigt. Danach sind pflegebedürftig Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Hilfeleistungen in Form von allgemeiner Anleitung, Motivation, Ansprache und Betreuung werden in den Grundpflegebedarf nach derzeitiger Rechtslage nicht einbezogen, so dass eine Pflegestufe aufgrund dieser Hilfeleistungen nichts erreicht werden kann. Der Aktivierendenpflege und der mitmenschlichen Zuwendung sind damit enge Grenzen gesetzt. Dies wirke sich insbesondere für den Anspruch geistig behinderter und psychisch kranker Menschen auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung negativ aus. Dies hat seinen Grund in der Verrichtungsbezogenheit der anerkennungsfähigen Hilfebedarfe. Das Bundessozialgericht hat dies allerdings für rechtmäßig gehalten, so dass nur der Zeitaufwand für konkrete verrichtungsbezogene Anleitungen, Überwachungen und Erledigungskontrollen anerkennungsfähig sei. Hierzu zähle zum Beispiel nicht das Beruhigen schlafgestörter, geistig behinderter Kinder (BSG, Urteil vom 29.04.1999, B 3 P 7/98 R). Auch die notwendige ständige Anwesenheit und Aufsicht einer Pflegeperson zur Vermeidung von Fremd- oder Selbstgefährdung ist nicht berücksichtigungsfähig. Erst dann, wenn aufgrund besonderer Umstände Kontrollbesuche der Pflegeperson erforderlich werden, um zu klären ob Grundpflegemaßnahmen zu treffen sind, kann von einem nächtlichen Hilfebedarf im Sinne von § 14 Abs. 3 SGB XI gesprochen werden. Es sind immer wieder Vorschläge gemacht worden, diese Härten für geistig behinderte Menschen oder psychisch kranke Menschen zu mildern, indem der Begriff der Mobilität weit ausgelegt wird. Sie sind vom Gesetzgeber und von den Gerichten bisher nicht aufgegriffen worden. Damit sind die Hilfen, die eine orientierungslose Motorik oder auch einen krankheits- oder behinderungsbedingten Überschuss an Mobilität notwendig machen, als „Mobilitätshilfe“ oder den Begriff der Beaufsichtigung oder Anleitung von seinem konkreten Bezug auf die Verrichtungsbezogenheit nicht erfasst. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, dass der krankheitsbedingte Hilfebedarf bei Personen mit starker geistiger Behinderung oder Persönlichkeitsveränderung, der nicht verrichtungsbezogen ist, bei der Pflegebedürftigkeit nicht zu berücksichtigen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in einem Beschluss vom 22.05.2003 (1 BVR 452/99) ausgeführt, dass der Gesetzgeber hier bewusst darauf verzichtet habe, „die soziale Betreuung in die Feststellung der Pflegebedürftigkeit einfließen zu lassen, weil dadurch der Kreis der leistungsberechtigten Personen erheblich erweitert und die Finanzierbarkeit der sozialen Pflegeversicherung ohne Anhebung des Beitragssatzes möglich gewesen wäre“. Der allgemeine Aufsichts- und Betreuungsbedarf kann deshalb derzeit nicht in die Ermittlung des Pflegeaufwandes einbezogen werden. Allerdings hat der Gesetzgeber der vielfältigen Kritik daran insoweit Rechnung getragen, als er durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom Mai 2008 die §§ 45a, 45b in das SGB XI einfügte. Hierdurch sind zusätzliche Ansprüche, wenn auch nur in geringerem Maße, für Pflegebedürftige mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf geschaffen worden. Zugleich hielt der Gesetzgeber jedoch am verrichtungsbezogenen Pflegeaufwand fest. Damit bleibt der Zeitaufwand bei geistig behinderten oder psychisch kranken Menschen, die die meisten Verrichtungen motorisch zwar selbst erledigen können, aber nie aus den Augen gelassen werden können, weiterhin außer Betracht. Dieser Aufwand ist weitaus höher anzusetzen als bei Menschen mit körperlichen Behinderungen. Es bleibt daher Aufgabe des Gesetzgebers, auf diese sozialpolitisch ausgerichtete Kritik zu reagieren und den Pflegebedürftigkeitsbegriff neu zu justieren. Der Gesetzgeber hat insoweit reagiert und ein neues Begutachtungsinstrument entwickelt, mit dem Ziel, den Hilfe- und Pflegebedarf von Menschen mit Demenz besser zu erfassen. Der vorgesehene Leistungsbetrag für Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach §§ 45a, 45b SGB XI ist nun auch auf Personen der so genannten Pflegestufe 0 erweitert worden, also auf Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, die noch keinen erheblichen Pflegebedarf, aber Betreuungsbedarf haben. Gleichzeitig ist der Kostenersatz für die Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungsleistungen auf bis zu 2.400,00 ` jährlich angehoben worden.