BSG hat über 24-Stunden-Intensivpflege entschieden: Drachenflieger-Urteil gilt nicht mehr
Das Bundessozialgericht hat am 17. Juni 2010 (B 3 KR 7/09 R) über die seit langem hoch umstrittene 24-Stunden-Beahndlungspflege bei gleichzeitigter Grundpflege entschieden. Danach hat die Krankenkasse den Aufwand für die über 24 Stunden verordente Behandlungssicherungspflege in größerem Umfang als bisher zu tragen. Das ergebe sich für Ansprüche ab dem 1.1.2004 aus der Modifikation des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V durch das GMG. Seit dieser Gesetzesänderung umfasse der Anspruch auf Behandlungssicherungspflege auch verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, selbst wenn diese bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 14 f SGB XI zu berücksichtigen sind; dies ist durch die erneute Änderung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V durch das GKV-WSG zum 1.4.2007 nochmals klargestellt worden. Versicherte haben demnach einen umfassenden Anspruch auf häusliche Krankenpflege; dieser wird ergänzt durch einen Anspruch gegenüber der Pflegekasse (vgl auch § 13 Abs 2 SGB XI), der aber nur die „reine“ Grundpflege sowie die hauswirtschaftliche Versorgung beinhaltet – insoweit ist die GKV nicht leistungsverpflichtet (vgl § 37 Abs 2 Satz 6 SGB V). Aus dieser Rechtsänderung ist auch abzuleiten, dass die Ansprüche aus der GKV nach § 37 Abs 2 SGB V und aus der Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die noch dem Drachenflieger-Urteil aus dem Jahr 1999 zugrunde liegende Annahme, während der Erbringung der Hilfe bei der Grundpflege trete die Behandlungspflege im Regelfall in den Hintergrund, sodass es gerechtfertigt sei, den Kostenaufwand für diese Zeiten allein der sozialen Pflegeversicherung zuzurechnen, vertritt das BSG nicht mehr, weil die Änderungen des GMG und des GKV-WSG belegen, dass die GKV nach den Vorstellungen des Gesetzgebers an den pflegebedingten Aufwendungen insbesondere bei Fällen der Rund-um-die-Uhr-Betreuung stärker beteiligt sein soll.
Zur Abgrenzung beider Bereiche ist nach dem Urteil des BSG vom 17.06.2010 – B 3 KR 7/09 R – wie folgt vorzugehen: Es ist zunächst die von der Pflegekasse geschuldete Grundpflege zeitlich zu erfassen. Der ermittelte Zeitwert ist nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete 24-stündige Behandlungspflege einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinander stehen.
Das BSG konnte die Berechnung im entschiedenen Fall nicht selbst durchführen, da das maßgebliche Pflegegutachten nicht eindeutig erkennen ließ, in welchem Umfang bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflege- bzw. reine Grundpflegemaßnahmen berücksichtigt worden sind; diese Feststellungen wird das LSG Baden-Württemberg nachzuholen haben. Nur die reinen Grundpflegleistungen sind zur Hälfte von der Pflegeversicherung zu finanzieren. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind auf den Anteil der Krankenkassen anzurechnen.