Angehörige müssen Injektionen nicht vornehmen
Das Landessozialgericht für das Land Brandenburg hat in zwei Entscheidungen (Urteil v. 25.01.2005 – L 24 KR 47/03 und vom 07.06.2005 – L 24 KR 49/03) klar gestellt, dass Krankenkassen von Versicherten nicht verlangen können, Eingriffe in die körperliche Sphäre durch Angehörige vornehmen zu lassen. In den entschiedenen Fällen ging es jeweils darum, dass die Krankenkasse die Kostenübernahme für verordnete Insulininjektionen mit dem Argument abgelehnt hat, der im Haushalt lebende Angehörige müsse die Injektionen vornehmen. Dem hat das Landessozialgericht nun widersprochen. Es hat sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 37 Abs. 3 SGB V berufen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann. Das BSG hatte hier dazu entschieden, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn die Hilfe von dem Angehörigen tatsächlich geleistet wird. Ein Leistungsausschluss besteht nur, wenn sowohl der Versicherte bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist. Der Schutz der Menschenwürde aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes gebietet ein Einverständnis auf beiden Seiten (aktive und passive Pflegebereitschaft). Nur wenn diese Pflegebereitschaft ohne nachvollziehbare Begründung verneint wird, kann sich ein Ausschlussgrund gemäß § 37 Abs. 3 SGB V ergeben. Das LSG Brandenburg hat nun ausgeführt, welche Gründe als nachvollziehbar zu respektieren sind. Bei einfachen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Medikamentengabe, kann ein eher objektiver Maßstab anzulegen sein, das heißt vom Betroffenen müssen hier ganz individuell vorliegende Gründe bezeichnet und nachgewiesen werden. Stellt die Maßnahme einen starken Eingriff in die körperliche Sphäre des Versicherten dar, wird ein eher subjektiver Maßstab anzulegen sein, denn das Selbstbestimmungsrecht der Versicherten wird dadurch wesentlich tangiert. Hier muss es ausreichen, dass der Versicherte Gründe benennt, die nicht abwegig erscheinen. Im Übrigen muss eine Interessenabwicklung im Einzelfall vorgenommen werden. Bei Insulininjektionen handelt es sich nicht um eine einfache Maßnahme. Ob eine einfache Maßnahme vorliegt, äußert sich grundsätzlich danach, in welchem Umfang sie die körperliche Integrität des Versicherten berührt. Dies ist bei Injektionen der Fall, da jede Injektion, auch wenn sie noch so geringfügig ist, eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit darstellt und damit den Tatbestand der körperlichen Verletzung erfüllt. Ohne Einwilligung des Versicherten darf sie nicht durchgeführt werden, da ansonsten eine strafbare Körperverletzung im Sinne von § 223 StGB vorliegt. Aber auch wenn die Einwilligung des Versicherten vorliegen sollte bzw. wenn bei einwilligungsunfähigen Patienten deren mutmaßlicher Wille nicht eindeutig zu bestimmen ist, muss die tatsächliche Fähigkeit und Bereitschaft des Angehörigen vorhanden sein. Insoweit ist in jedem Fall erforderlich, dass die Krankenkasse im Rahmen einer ärztlichen Verordnung die Anleitung eines Angehörigen zur Injektion bewilligt. Ohne eine solche, durch den Pflegedienst vorgenommene Anleitung eines Angehörigen im Rahmen einer Anlernphase kann die Krankenkasse nicht von einer Fähigkeit des Angehörigen zur selbstständigen Vornahme der Insulininjektionen ausgehen. Des Weiteren ist erforderlich, dass die Anleitung erfolgreich verlaufen ist, sodass der Angehörige tatsächlich in der Lage ist, die Injektionen fachgerecht auszuführen. Soweit vor der jeweiligen Insulingabe Blutzucker zu messen ist, muss ein Blutzuckermessgerät vorhanden sein, das der Angehörige bedienen kann. Nur wenn nachweisbar diese Fähigkeit des Angehörigen zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung besteht, und der Versicherte hiermit einverstanden ist, kann sich die Krankenkasse aus § 37 Abs. 3 V berufen. Ist der Versicherte der Überzeugung gewesen, dass der Angehörige, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage ist, sachgerechte Insulininjektionen zu verabreichen, stellt dies einen nachvollziehbaren Grund dar, solche Maßnahmen zu verweigern. Entgegen der Ansicht der beklagten Krankenkasse war insoweit nicht erforderlich, dass beim Angehörigen eine Spritzenphobie oder ähnliches vorliegt. Ausreichend ist, dass der Versicherte der Auffassung ist, der Angehörige ist mit der Übernahme der Leistung überfordert.