Nutzung als Pflege-WG ist baurechtlich zu genehmigen
Die gemeinschaftliche Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen Menschen in Wohngemeinschaften ist mittlerweile in allen Bundesländern in den Länder-Heimgesetzen geregelt. In einigen Bundesländern wurden jedoch die Bauordnungen noch nicht diesen speziellen Wohnformen angepasst. Daher gelten die meisten Wohngemeinschaften nach diesen einzelnen Bauordnungen der Länder als „Sonderbauten“. Konsequenz ist, dass es sich bei der Nutzung durch überwiegend alte und pflegebedürftige Menschen um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt, da diese Nutzung nicht von der Baugenehmigung für ein Wohnhaus gedeckt ist.
Einen entsprechenden Fall hatte das Verwaltungsgericht Potsdam zu entscheiden. Mit Urteil vom 30.06.2011 (Az.: 5 K 890/08) entschied das Gericht, dass das Vorgehen der örtlichen Bauordnungsbehörde, die Nutzung einer Wohngemeinschaft pflegebedürftiger Menschen zu untersagen, rechtmäßig war.
Im dortigen Fall vermietet ein Seniorenverein Räume in einem Mehrfamilienhaus an pflegebedürftige Personen. Das Gebäude wurde ursprünglich mit einer Baugenehmigung als Mehrfamilienwohnhaus genehmigt. In der Wohngemeinschaft leben 4 Senioren mit unterschiedlichen Pflegestufen bis zur Pflegestufe III. Die Betreuung und Pflege der älteren Menschen erfolgt durch einen ambulanten Pflegedienst. Nachdem die untere Bauordnungsbehörde eine Besichtigung des Objekts durchführte, stellte die Behörde Mängel hinsichtlich der Barrierefreiheit und des ersten Rettungsweges fest; außerdem seien die Türen weniger als 90 cm breit. Daraufhin untersagte die untere Bauaufsichtsbehörde dem Vermietungsverein, die Wohnung als Anlage zur Pflege und Betreuung sowie zum Wohnen alter und pflegebedürftiger Menschen zu nutzen. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass die Wohngemeinschaft ohne die erforderliche Baugenehmigung als Pflegeheim genutzt werde. Es seien keine rauchdichten Türen vorhanden und im Haus sei weder eine Sicherheitsbeleuchtung noch eine Brandmeldeanlage vorhanden. Die Wohngemeinschaft stelle einen Sonderbau dar. Die ausgeübte Nutzung erfülle nicht die Merkmale des bloßen Wohnens und sei anderen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes und der Barrierefreiheit, unterworfen. Eine reine Wohnnutzung sei durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung und der Haushaltsführung sowie der Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Dies sei nicht der Fall, da ein Großteil der Bewohner aus körperlichen und/oder geistigen sowie auch aus rechtlichen Gründen zur eigenen Haushaltsführung nicht in der Lage sei. Bauordnungsrechtlich handele es sich um ein Pflegeheim. Jedenfalls stelle die Nutzung durch überwiegend alte und pflegebedürftige Menschen eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar, da diese Nutzung nicht mehr von der Baugenehmigung für ein Wohnhaus gedeckt sei.
Der Vermieter der Wohngemeinschaft ging gegen die Nutzungsuntersagung der Behörde gerichtlich vor. Er argumentierte, die Nutzung durch eine Senioren-WG unterscheide sich nicht von einer Wohnnutzung. Es handele sich nicht um ein Pflegeheim und nicht um einen Sonderbau. Nach dem Länder-Heimgesetz sei die WG nicht als „Einrichtung“ einzuordnen, sondern als selbstverantwortliche Wohngemeinschaft. Die Wohngemeinschaft werde über 24 Stunden vom Pflegepersonal betreut, sodass eine Brandgefahr nahezu auszuschließen und die Rettung bzw. Unterstützung bei der Rettung jederzeit möglich sei. Im Übrigen sei es der Wille des Gesetzgebers, diese Wohngemeinschaften zu erhalten und zu fördern. Die zuständigen Ministerien hätten bereits in einem gemeinsamen Rundschreiben festgelegt, dass erst ab einer Anzahl von 7 pflegebedürftigen Personen von einem Sonderbau auszugehen sei.
Das Verwaltungsgericht Potsdam wies diese Überlegungen zurück und bestätigte die Nutzungsuntersagung der Baubehörde. Die derzeitige Nutzung als Wohngemeinschaft zur Pflege und Betreuung älterer und pflegebedürftiger Menschen sei ohne die erforderliche Nutzungsgenehmigung erfolgt. Das betreffende Gebäude, in dem sich die Wohngemeinschaft befindet, sei mit Baugenehmigung ursprünglich als Mehrfamilienwohnhaus zur Wohnnutzung genehmigt worden. Nunmehr werde es teilweise zur Pflege und Betreuung älterer und teils schwerstpflegebedürftiger Personen genutzt. Die hierdurch vollzogene Änderung der Nutzung stelle eine andere Art der Nutzung dar, die von der genehmigten reinen Wohnnutzung abweiche und die jedenfalls unter bauordnungsrechtlichen Aspekten anders als die frühere Nutzung zu beurteilen sei. Es handele sich um eine Einrichtung zur Unterbringung und Pflege von Personen und damit um einen Sonderbau. Bei dem Begriff der Einrichtung nach der Bauordnung komme es nicht auf den Begriff der Einrichtung nach dem Länder-Heimgesetz (hier: dem brandenburgischen Pflege- und Betreuungswohngesetz) an. Die Regelungen der Bauordnung verfolgten andere Schutzziele, als die heim- und pflegerechtlichen Gesetze. Der Begriff der Einrichtung im bauordnungsrechtlichen Sinne sei als ein Ort zu verstehen, der zu einem bestimmten Zweck – hier zur Unterbringung und Pflege von alten und pflegebedürftigen Personen – errichtet beziehungsweise genutzt werde. Die Wohngemeinschaft sei außerdem von dem Wechsel der einzelnen Bewohner unabhängig und auf Dauer angelegt. Den Bewohnern werde eine umfassende Betreuung geboten, die über eine gelegentliche Unterstützung bei einer ansonsten eigenständigen Haushaltsführung weit hinausgehe. Daher bestehe hier keine vergleichbare Situation mit einer häuslichen Pflege im Familienkreis oder einer Wohngemeinschaft, zu der sich mehrere Senioren eigenverantwortlich zusammenschließen. Die Bewohner der Wohngemeinschaft seien aufgrund ihres Alters und ihrer Pflegebedürftigkeit bis hin zu einer Schwerstpflegebedürftigkeit, insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes, aber auch hinsichtlich der Barrierefreiheit auf einen gesteigerten baurechtlichen Standard angewiesen. Aufgrund dieser besonderen Nutzung des zur reinen Wohnzwecken genehmigten Mehrfamilienhauses entstehe eine Gefährdung der Bewohner. Ob die WG-Bewohner besondere Beeinträchtigungen aufweisen, die es ihnen nicht mehr möglich machen, sich im Brandfall aus der Gefahrenzone zu begeben, sei nicht relevant. Entscheidend sei die Art der Nutzung. Im Vordergrund stehe die Unterbringung, Pflege und Betreuung der hilfsbedürftigen Bewohner, die aufgrund ihrer Erkrankungen Schwächen im Orientierungssinn und Gefahrenbewusstsein oder auch Bewegungseinschränkungen haben. Allen WG-Bewohnern sei gemeinsam, dass sie täglich auf Hilfe angewiesen seien und je nach körperlicher und geistiger Verfassung Orientierungsschwierigkeiten oder teilweise massive Bewegungseinschränkungen aufweisen können. Eine bestimmte Mindestgröße für die Anzahl der dort wohnenden Personen sehe der Sonderbautatbestand nicht vor. Das gemeinsame Rundschreiben der Ministerien des Landes Brandenburg habe keine Bindungswirkung und könne die Brandenburgische Bauordnung nicht einschränken.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam ist hinsichtlich der Einordnung der Wohngemeinschaft als Sonderbau im Sinne der Brandenburgischen Bauordnung zu kritisieren. Zwar ist zutreffend, dass die Bauordnung nicht ausdrücklich an die Bestimmungen im Länder-Heimgesetz angepasst worden ist. Die Einordnung als Sonderbau setzt jedoch eine Nutzung als „Einrichtung“ voraus, was nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Unterbringung von Personen bedeutet, die gerade nicht mehr zur eigenverantwortlichen Lebensführung in der Lage sind. Dem Verwaltungsgericht ist jedoch insoweit zuzustimmen, als hier der Gesetzgeber gefragt sein dürfte. Denn schon vor geraumer Zeit wurde im Rahmen der Gesetzesbegründungen zu den heimrechtlichen Nachfolgegesetzen ausgeführt, dass die Musterbauordnung angepasst werden solle und zeitnah eine bauaufsichtsrechtliche Richtlinie erlassen werden solle, die eine differenzierte Beurteilung der Einrichtungen im Hinblick auf die Entscheidungen nach der Sonderbauregelung ermögliche. Solange der Gesetzgeber jedoch nicht tätig wird, können die Verwaltungsgerichte nur die geltenden Bauordnungen anwenden.
Die „Fachkommission Bauaufsicht“ hat leider bis heute erst einen Entwurf zur Änderung der Musterbauordnung (Stand 1.6.2011) vorgelegt In diesem Entwurf ist vorgesehen, dass als Sonderbauten Nutzungseinheiten ab 7 Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderungen anzusehen sind, weil ab dieser Personenzahl ein Gefahrenpotenzial besteht, welches im Baugenehmigungsverfahren einer Einzelfallbeurteilung unterzogen werden muss. Bis zu 6 Personen ist somit nach dem Entwurf weder die Einstufung in die Kategorie Sonderbau noch eine Nutzungsänderung anzunehmen. Da die Musterbauordnung aber noch nicht geändert worden ist und die Bundesländer ihre Bauordnungen deshalb auch noch nicht geändert haben, gelten die meisten Wohngemeinschaften nach diesen einzelnen Bauordnungen der Länder als Sonderbauten. Konsequenz ist, dass es sich bei der Nutzung durch überwiegend alte und pflegebedürftige Menschen um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt, da diese Nutzung nicht mehr von der zumeist Baugenehmigung für ein Wohnhaus gedeckt ist.
Tipp für die Praxis:
Klären Sie mit dem Vermieter der Wohngemeinschaften, in denen Sie Pflegeleistungen erbringen, ob dieser der zuständigen Bauaufsichtsbehörde die Nutzung als Wohngemeinschaft für pflegebedürftige Menschen angezeigt hat. Hier wäre ein entsprechendes Genehmigungsverfahren notwendig, sofern es sich nach der landesbaurechtlichen Regelung um einen Sonderbau handelt. Gegebenenfalls kann die Nutzungsänderung nachträglich genehmigt werden, sodass es nicht zu einer Nutzungsuntersagung kommen muss. Allerdings sind dann gegebenenfalls die Anforderungen an den Brandschutz und die Barrierefreiheit zu erfüllen, die mit erheblichen Kosten verbunden sein können.