Intensivpflege: Vergütung sicher verhandeln
Bisher war es für Intensivpflegedienste vielfach möglich, mit einzelnen Krankenkassen individuell auf den Versorgungsfall bezogene Vergütungsstundensätze auszuhandeln, die je nach Krankenkasse mehr oder weniger auskömmlich waren. Diese Verhandlungsart wird in jüngster Zeit zunehmend von den Krankenkassen abgelehnt. Sie bieten nur noch Standardpreise auf unterstem Niveau an. Will der einzelne Pflegedienst eine höhere Vergütung vereinbaren, wird er auf eine gemeinsame Verhandlungsführung mit anderen Kassen verwiesen. Die Krankenkassen nutzen auf diese Weise ihre ohnehin schon bestehende Verhandlungsmacht gegenüber dem einzelnen Intensivpflegedienst weiter aus. Der Kostendruck lastet dabei voll auf den Pflegediensten, die mit dem gewährten Stundensatz in der Regel nicht kostendeckend arbeiten können.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Krankenkassen Vergütungsverhandlungen von der Erfüllung bestimmter personeller Voraussetzungen und Bedingungen abhängig machen. Dies dürfte zwar rechtlich nicht zulässig sein, denn die Stellung von Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen ist mit § 132 a Abs. 4 SGB V nicht vereinbar. Vielen Pflegediensten bleibt aber nichts anderes übrig, als die Bedingungen schon im Vorfeld zu erfüllen, um überhaupt in die Vergütungsverhandlungen einsteigen zu können. Die hierfür entstehenden Lohn- und Sachkosten müssen sie selbst vorfinanzieren, sodass die Schere zwischen entstehenden Kosten und „gewährter“ Vergütung weiter auseinander klafft.
Sodann beginnen langwierige und mühsame Vergütungsverhandlungen, die die Pflegedienste vielfach an den Rand der Existenzgefährdung bringen. Von den Pflegediensten wird zunächst eine detaillierte Kostenkalkulation nebst Nachweisen gefordert. Hierbei ist Vorsicht geboten. Entscheidend ist eine vollständige Erfassung aller bestehenden und zukünftigen Kosten, deren Verteilung auf die produktive Netto-Jahresarbeitszeit einer Pflegefachkraft sowie eines angemessenen Gewinn- und Risikozuschlags.
Hat man die Kostenkalkulation eingereicht, vergehen Wochen um Wochen, manchmal Monat um Monat, bis immer wieder neue „Unklarheiten“ geklärt sind. Denn die Krankenkassen rügen mal diese, mal jene Kostenposition als „nicht plausibel“ oder nicht üblich. Wenn dann endlich ein persönlicher Verhandlungstermin angeboten wird (in letzter Zeit wird teilweise auch nur telefonisch verhandelt), endet dies zumeist mit einem erschreckend niedrigen Vergütungsangebot, das wenig nachvollziehbar und häufig kaum oberhalb des zuvor bereits gewährten Vergütungsangebots oder sogar darunter liegt. Des Weiteren wird die Vergütung nicht – wie es richtig wäre – ab Verhandlungsaufruf bzw. ab dem Auslaufen der Vorvereinbarung angeboten, sondern häufig erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die „Bedingungen“ der neuen (noch nicht vereinbarten) Ergänzungsvereinbarung für die Intensivpflege erfüllt werden.
Diese Verhandlungsführung der Krankenkassen ist für die Pflegedienste in mehrfacher Hinsicht frustrierend: Einerseits werden die Verhandlungen, bei vollem Kostendruck auf den Leistungserbringern, verzögert. Andererseits werden wesentliche und berechtigte Kostenpositionen nicht anerkannt. Hinzu kommen die Forderung nach Vorbedingungen und die Verlegung des Lauzeitbeginns auf den Zeitpunkt, zu dem nach Ansicht der Kassen die einseitig geforderten Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Intensivpflegedienst ist in diesem Fall gut beraten, wenn er seine Vergütungsforderung und den Laufzeitbeginn nicht aufgibt. Er sollte seine Kostenpositionen noch einmal im Einzelnen darlegen und im Hinblick auf ein späteres Schiedsverfahren klären, welche Kostenpositionen aus welchem Grund nicht akzeptiert werden. Es ist wichtig, die einzelnen Dissense zu dokumentieren, damit dies der Schiedsperson später zur Entscheidung vorgelegt werden kann.
Mit den vom Bundessozialgericht vorgegebenen Verhandlungsgrundsätzen hat diese Praxis freilich wenig zu tun. Das BSG hatte bereits im Urteil vom 17.12.2009 (Az. B 3 P 3/08 R) festgelegt, wie Leistungserbringer und Krankenkassen bei Vergütungsverhandlungen zu verfahren haben. Mit Urteil vom 23.06.2016 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass entsprechend auch bei der Finanzierung der häuslichen Krankenpflege zu verfahren ist und insbesondere Tariflöhne auch in der häuslichen Krankenpflege als wirtschaftlich anzuerkennen sind (BSG – Urteil vom 23.06.2016 – B 3 KR 25/15 R).
Danach ergibt sich folgendes Verhandlungsschema:
- Zunächst hat der Pflegedienst hat seine Gestehungskosten plausibel und nachvollziehbar darzulegen. Die bestehenden und zu erwartenden Lohnkosten sind plausibel, wenn diese auf normalen Lohnkostensteigerungen oder Inflationsraten beruhen bzw. sich an einschlägigen Tarifverträgen orientieren.
- Die Krankenkasse prüft sodann diese einzelnen Kostenpositionen auf Plausibilität und Schlüssigkeit. Für den Fall, dass die Krankenkasse die Plausibilität und Schlüssigkeit argumentativ zu erschüttern vermag, muss der Pflegedienst durch Vorlage von Unterlagen den Nachweis dafür erbringen, dass die Kalkulation auf den voraussichtlichen Gestehungskosten beruht. In Ausnahmefällen kann die Krankenkasse auch die Vorlage von Bilanzen und Buchführungsunterlagen zum Nachweis der Ist-Kosten fordern.
- Sind die Gestehungskosten plausibel dargelegt, besteht Anspruch auf Abschluss einer entsprechenden Vergütungsvereinbarung.
- Falls die Vergütungssteigerung bei bestehender Vorvereinbarung oberhalb der Veränderungsrate nach § 71 SGB V liegt, kann sie leistungsgerecht sein, wenn der Pflegedienst hierfür wirtschaftlich angemessene Gründe aufzeigt (etwa Tarifbindung o.ä.).
Was die Laufzeit angeht, so richtet sich diese selbstverständlich nicht danach, wann der Pflegedienst die (noch nicht vereinbarten) Bedingungen der Ergänzungsvereinbarung erfüllt, sondern nach dem Zeitpunkt, zu dem ein Vorvertrag gekündigt wurde, bzw. – wenn keine Vorvereinbarung bestand – zu dem Zeitpunkt, zu dem zu Vergütungsverhandlungen aufgerufen wurde.
Für die Vergütungsverhandlungen in der außerklinischen Intensivpflege empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:
Es empfiehlt sich, bei der Ermittlung der leistungsgereichten Vergütung für die außerklinische Intensivpflege das Prüfungsraster des BSG anzuwenden, d.h. die Plausibilität der kalkulierten Kosten zu prüfen und anschließend die Kosten und/oder die Entgeltforderung insgesamt an den entsprechenden Werten vergleichbarer Einrichtungen zu messen. Tarifentgelte müssen im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit keiner Angemessenheitsprüfung unterzogen werden, da sie per se wirtschaftlich sind.
Von besonderer Bedeutung sind dabei die Nachweispflichten, die mit einem solchen Verfahren verbunden sein können. Bei begründeten Zweifeln über die voraussichtlichen künftigen Gestehungskosten besteht eine Nachweispflicht des Pflegedienstes, die bis zum Nachweis der in der Vergangenheit angefallenen Kosten reichen kann. Der Pflegedienst kann also im Zweifelsfall zu einer weitgehenden Offenlegung seiner betriebswirtschaftlichen Berechnungsgrundlagen verpflichtet sein. Daraus folgt, dass die Vergütungsforderung in tatsächlicher Hinsicht so zu belegen ist, dass die für die Zukunft geltend gemachte Entwicklung der Gestehungskosten plausibel und nachvollziehbar ist.
Zur Umsetzung dieser Rechtsprechung sollte man im Zweifelsfall zur Erstellung der Kostenkalkulation professionelle betriebswirtschaftliche Hilfe heranziehen.
Im Übrigen sollte frühzeitig die Erwägung angestellt werden, ob bei Scheitern der Verhandlungen das Schiedsverfahren eingeleitet wird. Im Hinblick darauf sollten die Verhandlungen sorgfältig vorbereitet und dokumentiert werden.