24-Stunden-Intensivpflege auch abweichend von HKP-Richtlinie verordnungsfähig

Häufig lehnt der MDK die Voraussetzungen der verordneten außerklinischen Intensivpflege mit der Begründung ab, die Voraussetzungen der Nr. 24 des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der HKP-Richtlinie seien nicht erfüllt. Soweit hierbei eingewandt wird, dass spezielle Krankenbeobachtung nur gewährt werden könne, wenn vitale Gefährdungen regelmäßig und täglich aufträten, ist diese Einschränkung rechtswidrig.

Hierauf hat das Sozialgericht Berlin unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen. 

In Nr. 24 Spiegelstrich 1 der Anlage der HKP-Richtlinien heißt es, spezielle Krankenbeobachtung sei (nur) verordnungsfähig, „wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können“. 

Sofern hier eine tägliche Intervention wegen lebensbedrohlichen Situationen gefordert wird, steht dies dem Anspruch des Versicherten nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 10. November 2005, a.a.O., dort Rdnr. 19 m.w.N. sowie in dem von der Beklagten eingeführten Urteil vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 69/04 R -, juris, dort Rdnr. 15; vgl. auch Beier in: jurisPK-SGB V, Stand: 25. Juni 2013, § 92 SGB V Rdnr. 46). Sie unterliegen aber der Prüfung dahingehend, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht.

Nr. 24 der Anlage der HKP-Richtlinien ist insoweit nicht mit den gesetzlichen Vorgaben von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vereinbar. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Behandlungspflege zur Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung; die Krankenpflege muss „erforderlich“ sein, und zwar im Sinne der Wahrscheinlichkeit, dass ohne die Pflege der Behandlungserfolg entfällt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. April 1988 – 3/8 RK 16/86 -, juris, dort Leitsatz Nr. 1; vgl. auch Padé in: jurisPK-SGB V, Stand: 11. September 2014, § 37 SGB V Rdnr. 50, 51). 

Soweit Nr. 24 der Anlage der HKP-Richtlinien voraussetzt, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich“ sein muss, sind hiermit Anforderungen formuliert, die den Rahmen der gesetzlichen Vorgabe überschreiten. Denn nicht erst bei täglich auftretenden lebensbedrohlichen Situationen entfällt ohne die Pflege der Behandlungserfolg. Dies ist vielmehr schon dann der Fall, wenn solche Situationen aufgrund der Grunderkrankung unvorhersehbar jederzeit auftreten können. Ist dann keine Pflegeperson zur Stelle, die die geeigneten situationsangemessenen Einzelmaßnahmen ergreifen kann, droht der Tod des Versicherten.

Der Anspruch besteht daher auch bei nicht täglich auftretenden lebensbedrohlichen Situationen. Ausreichend ist, dass potentiell solche Situationen jederzeit unvorhersehbar eintreten können.

SG Berlin, Urteil vom 07.11.2014 (Az.: S 89 KR 1954/11), rechtskräftig

Rechtsanwalt Dr. Johannes Groß
26.01.2018